Kolumne Das Tuch: Kopftuchträgerin trifft Matussek. Empirisch
Achtung! Achtung! Musliminnen können intelligent und humorvoll sein.
I ch bin in Eile. Mit Wasser und Fischbox in der Hand schlängle ich mich durch die Menschenmenge hin zum Zug nach Berlin, vorbei an Matthias Matussek, dem Spiegel-Journalisten und Autor. Und mache kehrt und sage: "Hallo!" Sein Gesicht zeigt Verwirrung. Mit gekräuselter Stirn versucht er, mich einzuordnen.
"Sie kennen mich nicht", sage ich und füge stalkerartig hinzu: "Aber ich kenne Sie!"
So sitzen wir zehn Minuten später gemeinsam im Speisewagen des Zuges und sprechen über Gott, das Internet, Deutschland und die Welt. Lustig wird es, als wir Akzente im Englischen imitieren. Matussek macht den französischen, ich den türkischen, und unsere Sitznachbarin präsentiert den bayerischen Akzent. Wir lachen.
Kübra Yücel, 22, lebt in Hamburg und studiert dort Politikwissenschaften. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".
Dann fragt mich Matussek: "Sie haben doch Humor, oder?" Nee, habe ich beim Integrieren verloren, erkläre ich. Das Dauergrinsen auf meinem Gesicht komme daher, weil ich meine Gesichtsmuskeln nicht kontrollieren könne. Dann muss halt der Gesichtsschleier her, beschließen Matussek und ich. Sonst wird das nie was mit meiner Integration in Deutschland.
Und dann kommt der Punkt, an dem wir den Tanz um den heißen Brei aufgeben. "Sie sind aber schone eine Ausnahme", sagt Matthias Matussek und beobachtet mich gespannt.
Uff. Wie oft ich diesen unsäglichen Satz doch schon gehört habe. Dieser furchtbare Satz, der mehr sagt, als der Absender vielleicht meint.
Ich bin keine Ausnahme. Es gibt viele muslimische Frauen, die das Kopftuch tragen, erfolgreich studieren und emanzipiert sind. Ich habe muslimische Freundinnen, die Ärzte, Anwälte, überzeugte Feministinnen und Soziologinnen sind. Eine erzählte mir kürzlich von ihrer dunklen Goth-Vergangenheit. Wie viele Ausnahmen braucht es, um die Regel zu überdenken? Wann kann man einen differenzierten Blick einfordern?
Empirisch gesehen, treffe er aber tatsächlich das erste Mal auf eine Kopftuchträgerin wie mich, sagt Matussek. Da mag er recht haben. Das macht aber nicht mich, sondern unsere Begegnung zur Ausnahme. Ein trauriges Zeugnis der vielen parallelen Lebenswelten in Deutschland.
Diese Ausnahme-Wahrnehmung steht aber auch für eine Verschiebung der Integrationsdebatte: das Einteilen von Menschen nach ökonomischen Kriterien wie Nützlichkeit und Bereicherung. Guter Migrant, schlechter Migrant. Diese Einteilung mache ich nicht mit. Ich möchte mich nicht von meinen Freundinnen mit einem Hauptschulabschluss absetzen. Sie sind nicht schlechter als ich, ich bin nicht besser als sie. Wir sind einfach unterschiedlich.
Ganz fatal wird es, wenn Migranten das Spiel mitspielen. Die brav nicken, wenn man sie ehrt, ihnen Besonderheit bescheinigt und von dem lästigen Rest abhebt. Sie bemerken dabei nicht, wie sie sich selbst verleugnen.
Im Zug müssen wir langsam aufhören zu reden. Ich will diese Kolumne schreiben, Matussek möchte noch lesen. Zum Abschied sagt er zu mir: "Dein Imam findet das bestimmt nicht so toll, dass du einen fremden Mann angesprochen hast. Aber, psst!, ich verpetze niemanden."
Auch Matthias Matussek hat über diese Begegnung geschrieben.
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